Neue Stoffe im Politikzyklus

Im Laufe ihres Lebens kommen Menschen mit einer großen Menge an unterschiedlichen chemischen Substanzen in Kontakt. Die europäische und österreichische Gesetzgebung hat zum Ziel, jene Chemikalien, die für die menschliche Gesundheit und die Umwelt eine Gefahr darstellen, zu identifizieren und ihre unerwünschten Wirkungen möglichst zu verhindern.

Image Mensch als Spiegel der Umwelt

Dazu fand am 12. November 2021 das 12. Fachgespräch  der Serie Umwelt und Gesundheit unter dem Thema „Neue Stoffe im Politikzyklus“ statt. In der Online Veranstaltung gaben Umweltbundesamt-Expert:innen und der Chemikalieninspektor vom Amt der Vorarlberger Landesregierung einen Einblick in ihre Arbeiten und beleuchteten  den Nutzen für regulatorische Aufgaben.

Interaktion aller Beteiligten im österreichischen Politikzyklus

Die vorgestellten Studien und Messungen sind interdisziplinär und in Zusammenarbeit mehrerer Institutionen, Universitäten und Spitäler entstanden. Auch der Vollzug in den Bundesländern ist durch die Koordination des Bundes gut vernetzt und flexibel und wird durch das Umweltbundesamt-Labor und das Know-how der Expert:innen unterstützt.

Thomas Jakl, Leiter der Abteilung für Chemiepolitik und Biozide im Klimaschutzministerium, betonte die intensive Interaktion aller Beteiligten im österreichischen Politikzyklus, die er als vorbildlich empfindet.

Stoffradar - Strukturierte Minimierung von Risiken durch Chemikalien

Die Umweltbundesamt-Expertin Romana Hornek-Gausterer stellte das Werkzeug „Stoffradar“ vor:

1. Schritt: Analyse der vorhandenen Daten zur Erfassung potenzieller Risiken und Identifizierung von Wissenslücken

2. Schritt: Feststellung eines Handlungsbedarfs

3. Schritt: Auswahl geeigneter Maßnahmen

4. Schritt: Implementierung von Maßnahmen

5. Schritt: Erfolgskontrolle

Dazu wurden folgende Umweltbundesamt-Projekte vorgestellt:

  • Die Frage zu möglichen Ursachen des Rückgangs der Feldhasenpopulation wurde im Rahmen eines Pilotprojekts untersucht. Dabei wurden Organe und Körperflüssigkeiten von einzelnen Hasen mittels nicht-zielgerichteter Analytik auf Chemikalien, darunter Pestizide, sowie spezifisch auf Mikroplastikpartikel untersucht. Zur Probenbank des Umweltbundesamts
  • Zur Problematik von bedenklichen Chemikalien in Reifenabrieb, die noch wenig erforscht ist, wird ein interdisziplinäres Projekt zur Methodenetablierung, Messung und Risikoabschätzung für Antioxidationsmittel und Mikroplastik durchgeführt. Was ist Mikroplastik?
  • Die Frage, ob sich Dichlordiphenylsulfon (zur Herstellung von Thermoplastik) über die Nahrungskette anreichern kann, konnte anhand einer Pilotstudie bejaht werden. Die Chemikalie reichert sich über den Fischverzehr von Vögeln vor allem in deren Eiern anStudie Dichlordiphenylsufon in Fischen  

Innovative Methoden zum Monitoring gefährlicher Chemikalien

Die Schadstoff-Expertin Christina Hartmann vom Umweltbundesamt berichtete über eine Pilotstudie zur Methodenerweiterung und Untersuchung des Gehaltes von 14 verschiedenen Bisphenolen in Kassazetteln und deren Migration aus Kunststoff-Flaschen.

Angesichts beträchtlicher Mengen von (Mikro-)Plastik, das durch verschiedene Eintragspfade in den Boden gelangt, steht die Wissenschaft vor einer schwierigen Aufgabe. Es sind keine standardisierten Methoden zur Probenahme, Probenvorbereitung und Analytik vorhanden. Das führt dazu, dass die Ergebnisse aus bisherigen Studien kaum vergleichbar sind.  Umweltwissenschafterin Katharina Sexlinger vom Umweltbundesamt stellte die Entwicklung einer harmonisierten Methode zur Probenahme von Plastik und Mikroplastik in Böden vor. Die Beprobung von ca. 100 Standorten in Österreich mit unterschiedlicher Nutzung ist geplant, um Eintragspfade zu ermitteln.

Andreas-Marius Kaiser, Spezialist für perfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS) im Umweltbundesamt, wies auf die Schwierigkeiten bei der Bestimmung von PFAS im Trinkwasser hin: Auch hier mangelt es an standardisierten Methoden und somit an der Vergleichbarkeit. Er erläuterte die Vor- und Nachteile der beiden verfügbaren Methoden, der CIC-Methode (Combustion Ion Chromatography) und des TOP-Assay (Total Oxidizable Precursor).

Umweltkontrolle am Beispiel langlebiger organischer Schadstoffe (POPs)

Das Stockholmer Übereinkommen regelt weltweite Beschränkungen und Verbote von sogenannten POPs (persistent organic pollutants, langlebige organischen Schadstoffe) und ist in der EU durch die POP-Verordnung umgesetzt. Die Liste der POPs wird laufend um Stoffe erweitert, die dafür ein dreistufiges Bewertungssystem durchlaufen. Die Anzahl der gelisteten Stoffe ist von ursprünglich 12 POPs auf mittlerweile 28 Chemikalien und Pestizide gestiegen. Die letzten Nominierungen und Aufnahmen betrafen die Gruppe der Flammschutzmittel und perfluorierten Verbindungen. Aktuelle Projekte wurden von der Umweltbundesamt-Expertin für Risikobewertung, Ingrid Hauzenberger, präsentiert:

  • PURE ALPS:  Erstmals wurden Daten zur Anreicherung von Schadstoffen in alpinen Ökosystemen erhoben,
  • POPMON: Identifizierung potenziell mit diversen POPs belasteter Böden und weitere Maßnahmen
  • Sondermessprogramm zu PFAS im Grundwasser,
  • AUSTROPOPS: POPs an verschieden österreichischen Standorten und
  • Rodentizide Wirkstoffe in Biota.

Wie werden die gesetzlichen Vorgaben kontrolliert?

Eugen Anwander vom Amt der Vorarlberger Landesregierung erklärte zunächst den Aufbau der Chemikalieninspektion in Österreich und die Zusammenarbeit aller EU-Mitgliedstaaten und EWR-Länder: In Österreich ist die Überwachung der Chemikalien-Gesetzgebung Aufgabe der einzelnen Bundesländer in mittelbarer Bundesverwaltung. Zur Koordination und gegenseitigen Unterstützung wurde ein Bund-Länder-Arbeitskreis Chemikalieninspektion etabliert. Betriebe werden sowohl routinemäßig, als auch im Rahmen nationaler oder EU-weiter Vollzugsschwerpunkte kontrolliert.

Beispielhaft wurden einige jüngst durchgeführte Vollzugsprojekte vorgestellt:

  • 2018, 15 EU-Staaten: Kontrolle der verpflichtenden Kommunikation in der Lieferkette zu „besonders besorgniserregenden Stoffen“ (SVHCs) in Erzeugnissen. Nur für 11 % der beprobten Erzeugnisse wurden die geforderten Informationen geliefert.
  • 2020, national: Biozidausrüstung bei Sport- und Outdoorbekleidung: Es wurden verbotene biozide Wirkstoffe gefunden.
  • 2021, national (laufend): PFAS und PFAS-freisetzende Stoffe in Outdoor-Bekleidung. Als große Herausforderung zeigt sich die Definition der Stoffe und Stoffgruppen, sowie die analytischen Methoden, PFAS-freisetzende Stoffe zu analysieren.

Überprüfung der Wirksamkeit von rechtlichen Beschränkungen und Verboten mittels Human-Biomonitoring

Gemäß dem globalen Monitoring Plan (GMP) im Rahmen des Stockholmer Übereinkommens über POPs sind zur Überprüfung der Wirksamkeit von Verboten Monitoring-Aktivitäten durchzuführen. Die Umweltbundesamt-Toxikologin Maria Uhl stellte das Muttermilch-Monitoring unter der Federführung der UNEP (WHO) vor:

Für den Gehalt an PCDD- (Polychlorierte Dibenzodioxine) und PBDE (Polybromierte Diphenylether) in Muttermilch wurde eine deutliche Abnahme im Vergleich mit Muttermilch-Proben seit 1987 bzw. 2013 festgestellt. Für die Stoffgruppe der PFAS zeigte sich zwar auch eine Abnahme der Belastung der Muttermilch, es wurden aber mehrere Vertreter der Stoffgruppe als noch im Jahr 2013 analysiert. Dennoch zeigte sich eine deutliche Überschreitung der tolerierbaren wöchentlichen Aufnahmemenge (TWI) für PCDD und PFAS.

Danach präsentierte Christina Hartmann die aktuelle Umweltbundesamt Studie Human Biomonitoring Studie über die Schadstoffbelastung von Kindern. Volksschulkinder aus Ostösterreich wurden auf Umweltschadstoffe untersucht, darunter unter anderem PFAS, Bisphenole, Phthalate und Mykotoxine (Schimmelpilzgifte). Die Analysen wurden im Harn durchgeführt. Alle Kinder waren mit vielen Substanzen aus Konsumprodukten, Lebensmitteln oder Kosmetika mehrfach belastet. Die nachgewiesenen Konzentrationen der einzelnen Chemikalien sind zumeist gering, allerdings ist das gleichzeitige Auftreten einer Vielzahl an Schadstoffen im Körper von Volksschulkindern als alarmierend zu bezeichnen.

Infos zu Human-Biomonitoring